Da
les ich doch heute auf telepolis:
Eine außerparlamentarische Opposition kommt selten in die Verlegenheit, ihre Forderungen ohne Zeitverzögerung in praktische Politik umsetzen zu müssen. Und das ist vielleicht auch ganz gut so, denn Menschen verändern sich, wenn sie ein und dieselben Probleme aus anderer Position und Perspektive betrachten. Was im diskussionsfreudigen, demonstrierenden Miteinander einfach zu lösen schien, scheitert erstaunlich oft an Sachzwängen, wenn aus den Revoluzzern von einst tatsächlich Entscheider geworden sind.
und mir stellt sich mal wieder die Frage: Wer ist das eigentlich, diese Sachzwänge? Von denen wir angeblich regiert werden.
Eigentlich dachte ich mal, wir leben in einer Demokratie, da wählen wir Parteien, die bilden dann eine Regierung und die regiert uns (nicht das ich das jetzt uneingeschränkt toll fände, aber soweit ist doch zumindest mal die Theorie). Aber scheinbar hab ich mich da geirrt. Die Sachzwänge. Die sind viel mächtiger als alle Regierungen zusammen. Und die kann man auch nicht abwählen. Die sind einfach so da.
So umschreibt telepolis blumig die rot-grüne Regierungspolitik, meint, dass die Umweltverbände, diese ewigen Querulanten, doch endlich einsehen sollen, dass "die Sachzwänge" da sind. Und dass die rot-grüne Regierung doch schon "unzweifelhaft" viel für die Umwelt tut.
Naja, sehen wir uns doch mal die Realität rot-grüner Umweltpolitik an:
- In der Atompolitik hat sich so ungefähr garnichts getan. Der Status-Quo ist weitgehend erhalten, daneben noch ein paar nette Geschenke an die Atomkonzerne ("Die Bundesregierung garantiert den störungsfreien Weiterbetrieb") als Gegenleistung für das Versprechen, die Atommeiler abzuschalten, wenn sie sich eh nicht mehr rechnen.
- Das vielgepriesene Kyoto-Protokoll hat erstmal mit Klimaschutz relativ wenig zu tun, sondern ist in erster Linie ein Mittel, eins der letzten freien Güter (unsere Luft zum Atmen) einem Verwertungsprozess unterzuordnen und an der Börse zu handeln.
- Der Straßenbau ist unter rot-grün massiv vorangetrieben worden (!), während gleichzeitig die Bahn kaputt-privatisiert wird.
- Fliegen wird weiterhin steuerlich indirekt subventioniert, Billig-Flieger unterbieten die Bahn inzwischen fast immer.
- Die flächendeckende Einführung gentechnisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft steht uns wohl bald bevor.
- Achja, alles ist schön nachhaltig (auch wenn eigentlich garniemand weiss, was das eigentlich ist, aber es klingt gut).
Daneben gibt's halt noch son paar Alibi-Projekte (Dosenpfand) und Projekte, die den Sachzwängen entgegen kamen (Erneuerbare Energie). Und wenn die Umweltverbände mal zur Abwechslung was halbwegs vernünftiges sagen, sind sie die Querulanten, "hey, was wollt ihr denn, der Umweltminister ist doch schon ein Grüner, jetzt könnt ihr nicht auch noch erwarten, dass sich die Politik ändert." Schließlich gibt's da ja noch die Sachzwänge.
Geradezu eine Ironie der Geschichte ist es, dass telepolis dann am
selben Tag in einem Artikel schreibt, dass eine Gruppe Prominenter das anmahnt, was man eigentlich schon lange wissen konnte: Im Klimaschutz ist es 5 vor 12, ein Handeln dringend geboten.
Als kleiner, dezenter Hinweis: Das UNFCCC (ein Wissenschaftsgremium der UN, extrem verdächtig für Öko-Radikalismus) stellte schon vor Jahren fest, dass wir eine CO2-Reduktion um mindestens 60% in absehbarer Zeit bräuchten, um eine Katastrophe zu verhindern. Da muten Ökosteuer, Streitigkeiten um 3% oder 5% im Kyoto-Protokoll oder ähnliches doch eher obskur an.
Man könnte übrigens den Sachzwängen ja auch mal konkrete Namen geben. BDI, IHK, Daimler, Siemens. Aber das wär ja zuviel verlangt.